Literaturgottesdienstteam von St. Petri zu Gast in der Marktkirche
Literaturgottesdienst zu dem Buch "Die Brücke von San Rey" von Thornton Wilder
Am 19. August hatte die Marktkirche zum Literaturgottesdienst eingeladen. Und das Team aus St. Petri, das 3 x im Jahr Literaturgottesdienste unter Leitung von Pastor i.R. Andreas Seifert und Pastorin Bodil Reller erarbeitet, war in kleiner Besetzung nach Hannover zum Gottesdienst gereist. Die Brücke von San Luis Rey stand auf dem Programm, und der Roman von Thornton Wilder aus dem Jahr 1927 bekam erschreckende Aktualität durch den Brückeneinsturz in Genua nur wenige Tage zuvor. Mit großem Engagement trug das Team die ausgewählten Passagen vor, Pastorin Bodil Reller hielt die Predigt. "Es war wunderbar und sehr dicht!", bedankte sich eine Besucherin beim ganzen Team.
In St. Petri wird der nächste Gottesdienst zu einem Jugendbuch gestaltet werden. Am Sonntag, dem 3. November geht es um Rachel Palacio, Wunder.

Zum Roman:
Thornton Wilder: Die Brücke von San Luis Rey, übersetzt von B. Jakobeit, Fischer Verlag, Frankfurt a.M., 2015, 172 S.,8.99 Euro
hier zitiert nach der Taschenbuchausgabe.
Zum Autor:
Thornton Wilder (geb. 1897 Wisconsin, gest. 1975 Connecticut) gehört zu einem der entscheidenden Autoren in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Weil sein Vater als Generalkonsul nach Honkong und Shanghai gesandt wurde, lebte Wilder einige Jahre in China und besuchte dort eine Missionsschule, später studierte er neuere Sprachen in Ohio, an der Yale University und verbrachte 1920-21 ein Jahr in Rom. Sein Roman „Die Brücke von San Luis Rey“ aus dem Jahr 1927, der im folgenden Jahr mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet worden war, wurde ein Welterfolg.
Zum Buch:
Wilders fiktiver Roman spielt in Peru im Jahr 1714: Am 20. Juli reißt die Brücke, die Lima mit Cusco verbindet, und lässt fünf Menschen in den Abgrund stürzen. Ein Franziskanermönch wird Zeuge dieses Unglücks und stellt sich Fragen, denn die wunderschöne Brücke von San Luis Rey -namentlich vom Hl. Ludwig von Frankreich beschützt - schien zu den Dingen zu gehören, die ewig bestehen, so dass diese Katastrophe nur als Eingriff einer höheren Macht verstanden wurde.
Bruder Juniper fragt: „Warum passierte das ausgerechnet diesen fünf?“(S.17). Es müsse doch eine Erklärung dafür geben, denn Leben und Sterben eines Menschen seien entweder Zufall oder der Plan Gottes. Deshalb beginnt er, die Lebensgeschichten dieser fünf Verunglückten zu untersuchen, „um zu beweisen, dass jedes der fünf erloschenen Leben ein vollkommenes Ganzes war“ (S.20).
Doña Maria, Marquesa de Montemayor, hat keine glückliche Kindheit, ist hässlich, ungeliebt und einsam und mit 26 Jahren sieht „sie sich in die Ehe mit einem blasierten und bankrotten Adligen gezwängt“ (S.24). Sie bekommt eine Tochter, die sie mit einer abgöttischen Liebe überschüttet. Um dieser Umklammerung zu entrinnen, heiratet Clara nach Spanien. In Doña Marias Einsamkeit überlässt ihr die Äbtissin des Klosters das aufgeweckte Mädchen Pepita als Gesellschafterin. Ein Brief von Pepita an die Äbtissin gelangt in Doña Marias Hände. Aus ihm spricht die liebende Verbundenheit zwischen den beiden. Doña Maria erkennt darin echte Liebe und Zuneigung und beschließt in Gedanken an ihr Kind Clara, dass „sie von neuem beginnen“ (S.59) will.
Esteban: Am Tor des Klosters werden Zwillinge im Findelkorb entdeckt. Manuel und Esteban wachsen im Kloster auf und sie wachsen der Äbtissin ans Herz. Die Eintracht der Brüder wird durch die Liebe Manuels zur Schauspielerin Perichole gestört, die sich aber nicht für ihn entscheidet. Als Manuel stirbt, ist Esteban einsam, ziellos und lebensmüde und wird von einem gemeinsamen Freund auf eine Reise nach Lima mitgenommen.
Onkel Pio stammt aus einem guten kastilischen Haus – reißt mit 10 Jahren von der Hazienda seines Vaters bei Madrid aus und schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, ohne sich an etwas zu binden. Er liebt die Nähe schöner Frauen, die spanische Literatur, dramatische Meisterwerke und entdeckt so die Schauspielerin Camila Perichole, seine heimliche Liebe, die aber die Mätresse des Vizekönigs wird. Onkel Pio nimmt ihren Sohn Don Jaime zu sich mit nach Lima.
Alle fünf stehen kurz vor einem neuen Lebensabschnitt als das Unglück sie ereilt. Bruder Juniper aber kann aus allen zusammengetragenen Berichten keinen „höheren Sinn erkennen in dem, was diese Menschen antrieb: die leidenschaftliche Liebe, die unerwiderte Liebe, die Mutterliebe und die Bruderliebe; und den Kampf um eine jede von ihnen“ (s. Klappentext). Sein Bemühen, der Theologie ihren Platz unter den exakten Wissenschaften zuweisen zu können, ist gescheitert. Er kann die Allmacht Gottes nicht in den Biographien erkennen. Diese Erkenntnis wird ihm zum Verhängnis. Als Ketzer und Zweifler wird er auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Das letzte Wort der Sinnerschließung hat der Leser selbst. „Er muss also entdeckt werden, der Geist des Leidens und der Liebe“ (aus dem Nachwort der Fischerausgabe von 1996).